Auftakt in Großderschau
Am Kolonistenhof von Großderschau beginnt unsere Wanderung durch eine Landschaft, die von Menschenhand geformt wurde – und doch ihren eigensinnigen Charakter bewahrt hat. Wir folgen der Otto-Lilienthal-Straße nach Norden, vorbei an alten Kolonistenhäusern mit Infotafeln über Schumacher, Pantinenmacher und Malermeister. Diese Dörfer waren keine gewachsenen Orte, sondern gezielt geplante Siedlungen Friedrichs des Großen – mit Handwerkern und Bauern, die gemeinsam das Überleben im sumpfigen Land sichern sollten.
Auch Hopfen sollte angebaut werden – was sich allerdings als wenig erfolgreich erwies. In Großderschau lässt sich an einem Haus heute noch ablesen, wie man den Dachboden um eine halbe Etage aufstockte, um dort den Hopfen zu trocknen. Ein Versuch, der mehr vom königlichen Optimismus als von landwirtschaftlicher Vernunft zeugte.
Vom Graben zum Horizont
Ein Bürgersteig führt uns aus dem Ort hinaus. Ein altes Schild weist „Neu Amerika“ in der Ferne aus – ein Name, der vom Aufbruch kündet. Wir gehen entlang eines Wassergrabens, der die frühe Melioration noch sichtbar macht. Dann streifen wir den Weiler Jühlitz. Eine Eichenallee begleitet uns ein Stück, kühl und schattig. Das Land ist hier topfeben. Noch verhindern Baumstreifen den Fernblick, doch hinter ihnen öffnen sich Felder, auf denen Kühe weiden und Mais in den Himmel wächst.
Der Stöpsel im Urstromtal
Das Rhinluch ist eine geologische Senke von besonderem Zuschnitt: Hier laufen die Urstromtäler Brandenburgs zusammen, als würde jemand eine gewaltige Schale mit Wasser füllen – und Großderschau liegt genau dort, wo der Stöpsel sitzt. Das erklärt auch die frühe Trockenlegung: Wer hier kontrollieren wollte, musste das Wasser bändigen.
Friedrichsbruch und der Butterplan
Friedrichsbruch liegt am Weg, ein weiteres Kolonistendorf. Die typischen Formen wiederholen sich: langgestreckte Scheunen aus Backstein, manche in Fachwerk, die Stirnseiten zur Straße gerichtet. Dreiseitenhöfe mit offener Front, dazwischen schlichte Wohnhäuser. Ein von Fliegen geplagtes Pferd schnauft uns neugierig entgegen.
Eine Tafel erzählt vom Holländerhof, der hier Schankrecht besaß. Gegenüber erfahren wir etwas über die Anfänge der Milchwirtschaft. Friedrich II. ließ im 18. Jahrhundert das sumpfige Rhinluch trockenlegen und siedelte Kolonisten aus fernen Regionen an – aus Sachsen, Hessen, den Niederlanden. In Königshorst, nicht weit von hier, wurde sogar eine „Butterakademie“ gegründet, die das Wissen über Viehhaltung und Milcherzeugung bündeln sollte.
Die Dosse und der Gollenberg
Als wir die Brücke über die Dosse erreichen, begrüßen uns die Dorfhunde mit aufgeregtem Gebell. Die Dosse wurde kanalisiert, flankiert von Deichen. Wir folgen dem Weg südlich des Gewässers. Linkerhand grüßen schon die Hügel von Stölln mit dem Gollenberg – jenem Ort, wo Otto Lilienthal seine ersten Flugversuche wagte. Eine Wanderung dorthin sei allen ans Herz gelegt. Auch das Lilienthal-Museum ist einen Besuch wert.
Altgarz und die sieben Tafeln
Wir erreichen Altgarz über eine Verkehrsbrücke und biegen bald an einer alten Scheune nach rechts. Sieben Infotafeln stehen hier dicht beieinander und erzählen von der Geschichte des Ortes. Wir erfahren von Zollstationen, an denen jeder Fuhrmann abgabenpflichtig war, und von der Ziegelei Böttcher, die wegen ihrer erhöhten Lage als Fluchtort bei Hochwasser diente. Eine Biberkolonie wird erwähnt und die frühe Schulpolitik Friedrich Wilhelms I.: Schon 1717 wurden alle Eltern verpflichtet, ihre Kinder vom fünften bis zwölften Lebensjahr regelmäßig zur Schule zu schicken.
Schatten unter Linden
An einer Obstplantage entlang spazieren wir zwischen alten Bauernhäusern. Auf einem Stein lesen wir endlich Plattdeutsch: „Do wat du wist, de Lüt räd'n doch“ – mach, was du willst, die Leute reden sowieso. Die Linden rauschen leise, Bienen summen in den Blüten, und es duftet süß. Ein Schild nennt das „erste Schulhaus von Altgarz“. Die Bäume hier scheinen eigens so gepflanzt worden zu sein, dass sie die Mittagssonne dämpfen.
Die Häuser stehen in kleinen Gruppen, unterbrochen von Feldern. Fast alle stammen aus der Kolonialzeit. Zwar wurden manche umgebaut, doch die Grundformen sind noch gut zu erkennen.
Im Herzen des Luchs
Die Straße endet an einem alten Baum mit Leiter. Wir biegen rechts hinter dem letzten Haus ab und laufen links am Waldstreifen weiter. Der Baumsaum endet – vor uns breitet sich das offene Rhinluch aus. Links begleiten uns die sanften Hügel von Stölln, rechts liegen gemähte Wiesen und der Deich des Dossekanals. Der Rhin-Kanal nähert sich. Beide Wasserläufe vereinigen sich hier.
Es gibt keine Wege mehr. Wir folgen den Spuren von Landmaschinen auf kurz gemähtem Gras. Nur Hasen und Rehe kreuzen unseren Weg.
Rast und Sternenhimmel
Eine schmale Fußgängerbrücke bringt uns über den Rhin-Kanal. Hinter einem alten Stellwerk treffen wir auf eine Straße, der wir ein Stück folgen. Ein Rastplatz liegt vor uns – und eine Station des Sternenparks Westhavelland. Zwei Drittel der Strecke liegen hinter uns. Zeit für eine Pause.
Rübehorst und der Horst
Die Wiesen rechts der Straße stehen auch zur Sommersonnenwende unter Wasser. Mehrere Greifvögel kreisen am Himmel. Bald erreichen wir Rübehorst. Am Fahrradknotenpunkt 72 biegen wir rechts ab. Eine Tafel erklärt, dass der Name sich nicht von Rüben ableitet, sondern von „rüber zum Horst“ – ein „Horst“ ist eine trockene Sandinsel im feuchten Land. Wir sehen Landhäuser mit alten Fassaden und verputzte Gebäude, die ihre Geschichte verbergen.
Rückweg über Lenning
Der nächste Abschnitt ist stärker befahren, doch wir biegen bald rechts ab – auf einen ruhigen Wirtschaftsweg über Lenning zurück nach Großderschau. Die kleine Häusergruppe ist bald in Sicht. Am Wegesrand steht Schilf – Zeichen feuchter Böden. Dann Asphalt. Doch kaum Verkehr. Pferde und Fohlen traben heran, lassen sich streicheln. Aus dem Gehölz bellt Rotwild warnend.
Ankunft am Heimathaus
Unsere Tour endet an der Lindenstraße – sie trägt ihren Namen zu Recht. Noch ein Kilometer bis zum Heimathaus, dem heutigen Kolonistenmuseum. Die Kirche im Ortskern ist schon zu sehen. Alte Scheunen, graue Fassaden und Neubauten begleiten uns. Zum Schluss schreitet ein Storch über die Straße – als wollte er uns zurück ins Heute holen.