Erinnerungen
Es ist schön, wieder am Gülper See zu sein. Als mich der Droste Verlag vor inzwischen vier Jahren fragte, ob ich den Radführer für das Havelland schreiben wolle, und ich hemmungslos zusagte, führte mich meine erste echte Tour ins Westhavelland nach Gülpe. Es war November, die Straßen hingen voller Nebel, was das Gefühl verstärkte, eine geheimnisvolle, unbekannte Welt zu betreten.
Anfahrt und Einstieg
Heute ist Juni, es sollen bis zu 35 °C werden, kein Nebel verzaubert die Landschaft. Aber dennoch verändert sich etappenweise das Bild schon bei der Anfahrt von Spandau: Nach den Logistikzentren und Windparks im Elztal folgen die Dörfer Lietzow, Berge, das vielgepriesene Ribbeck, Selbelang, Pessin und schließlich Friesack – für mich die Eintrittskarte ins "janz weit draußen". Ab hier geht es durch das wunderbar modellierte Terrain des Rhinower Ländchens mit dem Kleßener See.
Hinter Rhinow erhebt sich die Straße und wird zum Damm. Einsamkeit pur. Es geht durch das alte Fischerdorf Kiez, dann lande ich in Strodehne.
Strodehne und Kleindorf
Ich war mehrfach hier im Ort – als Startpunkt für Radtouren nach Havelberg oder Spaziergänge mit meiner Frau. Südlich des Gülper Sees war ich ebenfalls unterwegs, aber das Nordufer ist Neuland. Heute soll sich das ändern. Besonders sehenswert ist der Ortsteil Kleindorf von Strodehne, der sich nahe der Havel erstreckt: Ein Weg zwischen Kirche und Gasthaus 'Haus Berlin' führt dorthin. Gutshäuser mit Backsteinfassaden und Stuck reihen sich aneinander, einige werden als Ferienwohnungen genutzt. Der Weg passiert eine Badestelle und zieht in einem Halbkreis um das Dorf. Pferde stehen auf den Wiesen, es ist eine friedliche, offene Landschaft mit viel historischem Charme.
Geradeaus nach Rhinow
Dann gehe ich hinaus auf den schnurgeraden Radweg nach Rhinow. Eine Frau mit Hund kommt mir entgegen und bestätigt, dass der Weg am See begehbar ist - laut Komoot ist er teils unterbrochen – im Frühjahr kann dann eine solche Passage überschwemmt, im Sommer wie jetzt zugewachsen sein.
Die drei Kilometer der Fahrradpiste ziehen sich, die heiße Morgensonne brennt ins Gesicht. Ich bin dankbar für jeden schattigen Meter unter den Bäumen. Neidisch blicke ich nach rechts zur nächsten Baumreihe, die den Gülper See säumt. Die Monotonie des Weges lässt die sich entfaltende Tageshitze noch drückender erscheinen. Ein Hase hoppelt, ein Reh kreuzt den Weg, Kraniche ziehen über den Himmel.
Am Deich entlang
Nach einer Rechtskurve geht es am Bärengraben weiter, es erscheint ein altes Stellwerk, das den Zu- und Abfluss des Grabens reguliert. Der Gülper See liegt nun links, noch hinter Büschen verborgen. Der Graben ist hier breit wie ein Kanal, voller Seerosen, und lässt den Gülper See erahnen. Hier zweigt auch ein Radweg nach Kiez ab – das merke ich mir für später. Ab jetzt laufe ich auf einem Deich. Der Baumstreifen liegt links und nimmt mir leider die Sicht auf den See. Dafür kann ich rechts Strodehne am Horizont erkennen.
Mit der Sonne im Rücken läuft es sich besser. Ich trage lange Hose und Hemd – Schutz vor Sonne und Krabbelgetier. Aus dem Baumstreifen höre ich melodisches Zwitschern, über den Wiesen das Rufen der Feldlerche. Irgendwo hinter dem Dickicht gluckst ein Gewässer und ein Frosch rülpst sein Gequake so laut, dass es fast schon ordinär klingt.
Als sich die Bäume öffnen, versuche ich mit dem Teleobjektiv etwas zu erhaschen – und tatsächlich, ein See- oder Fischadler kommt ins Bild, wenn auch weit entfernt. Je mehr ich sehe, desto weniger stört mich die Hitze. Ein sanftes Lüftchen kommt vom See.
Nähe zum Wasser
Die letzten eineinhalb Kilometer bis Gallberg verlaufen endlich näher am Wasser. Das Rufen der Vögel dringt herüber, getragen vom Wind, obwohl sie weit entfernt sind – selbst das Teleobjektiv kann sie kaum erfassen.
Wie unterschiedlich die Seen im Havelland doch sind! Der Kleßener See, nicht weit entfernt, liegt eingerahmt in Wald, schattig, klar, mit Zugängen. Der Gülper See ist flach, mit morastigem Ufer, ideal für Brut- und Zugvögel.
Ein Findling auf Eisenrädern steht am Wegrand, daneben eine schiefe Bank. Was der Stein wohl einst transportieren sollte? Später werde ich noch mehr Skulpturen sehen.
Der Weg endet, und Komoot weist geradeaus - hier beginnt die Abenteuer-Passage. Ich steige den Deich hinauf und bin froh über meine lange Kleidung: Der Pfad ist bis zur Schulter von Gräsern und Kraut bewachsen. Hinten leuchtet ein Haus auf – ich meine das Haus vom Fischer Schröder zu erkennen. Tja, .. wenn man nur ein Haus hier kennt, sieht alles nach Schröder aus - es ist das Kunstgut Strodehne, wie ich später erfahren werde.
Pause beim Fischer
Ich habe nun einen erhöhten Blick auf den See, und eine Bank mit einem Tisch kommt zur rechten Zeit. Ich setze mich und packe Banane und Nüsse aus. Auf dem See erkenne ich eine Person im Boot mit Angelgedöns, aus Mangel an Alternativen erkenne ich natürlich den Schröder wieder, und beim Druck auf den Auslöser meiner Kamera fliegt mir ein Adler ins Bild, mit frischem Fisch in den Fängen, den er aber nicht halten kann. Vielleicht landet er im Boot vom Schröder?
Eine zweite Bank folgt, dann endet der Wildpfad, der Weg senkt sich um etwa einen Meter und geht als Schotterpiste weiter. Ich komme am Kunstgut vorbei, ein schöner Hof mit viel Platz zum künstlerischen Austoben. Der eigentliche Fischerhof ist gleich dahinter – und geschlossen. Stattdessen steht ein Kühlschrank mit Kasse des Vertrauens bereit. Ich kaufe mir eine geräucherte Forelle, die wandert in den Rucksack, und ich male mir aus, wie mich der Geruch noch die nächsten Touren begleiten wird.
Zurück nach Strodehne
Auf dem Rückweg passiere ich den schönen Hof vom Kunstgut noch einmal. Drinnen klingt es, als übe jemand Schlagzeug. Oder ist es eine kaputte Waschmaschine? Nein: Ein Trommler ist am Werk.
Zurück nach Strodehne geht es auf einem langen, schattenlosen Plattenweg. Feldlerchen begleiten mich mit ihrem Singflug – ich habe kürzlich gelernt: Sie singen im Flug. Kein Sinkflug, sondern ein Singflug. Seitdem sehe und höre ich nur noch Feldlerchen.
Am Wegrand tauchen weitere Skulpturen des Skulpturenpfades auf: Stahlkäfige voller Steine, als riesiger Rahmen geformt, und ein Zwillingspaar von langgestreckten Gestellen, als wolle man noch eine Tischplatte draufmontieren. Leider finde ich nichts weiter zu dem Skulpturenpfad; bei meinem nächsten Besuch muss ich mal gezielt danach fragen.
Ein Rebhuhn huscht vor mir über den Weg, trippelt in hohem Tempo voraus. Können Rebhühner eigentlich fliegen?
Wie schon auf dem Hinweg liegen auch jetzt große Rollen frischen Grasschnitts auf den Feldern. Sie erinnern mich an die Kokosrollen von Haribo, die einem Riesen beim Naschen aus der Tüte gepurzelt sind...
Kurz vor Strodehne komme ich am Straßenverkauf vorbei, den ich von früheren Touren kenne. In mehreren Plastikboxen gibt es Gehäkeltes zu kaufen, die Bezahlung erfolgt über die Kasse des Vertrauens. Für eine Mütze ist es mir zu heiß, aber ich finde ein Glas Holunder-Apfel-Gelee in einer Styroporbox. Ein schöner Abschluss für diesen langen, leisen Wandertag.
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Den Tourverlauf mit Sehenswürdigkeiten gibts hier: Strodehne und der Gülper See